Banana Challenge
„Wie schön, dass Sie uns helfen. Wir brauchen unbedingt ein Seminar. Oder ein Coaching … Bisher ist nichts besser geworden. Die Stimmung ist schlecht. Gut wäre eine Motivationsinitiative! Teamtraining haben wir schon gemacht. Als Ergebnis gibt es jetzt einen Obstkorb jede Woche.“
„Und? Hat sich etwas geändert?“
„Ja, im letzten Monat haben fünf Mitarbeiter gekündigt.“
„Und was jetzt?“
„Wir brauchen unbedingt noch ein Training. Wir haben auch alle gefragt: Es waren zu wenig Bananen im Obstkorb. Mehr Obstkörbe. Individuelles Coaching für alle. Und wir waren nicht nachhaltig: Wir müssen unbedingt mit Checklisten monitoren, ob jeder seinen Apfel gegessen hat.“
Auf den ersten Blick ein Traum für mich als Beraterin: Der Kunde kommt mit einem Auftrag. Er hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und ist bereit zu investieren. Akquise nicht erforderlich, und er weiß auch schon, was zu tun ist. Wir formulieren also einen Auftrag mit wohldurchdachten und effizienten Interventionen zur systematischen Analyse und Optimierung von Obstkörben, ergänzt durch ein Sensibilisierungscoaching zur gesunden Ernährung mit dem Titel „Banana Challenge“. So weit, so gut.
Wie wahrscheinlich ist in dieser Ausgangssituation der Erfolg des Projekts?
Eine Vielzahl von Projekten scheitert: Pessimistische Einschätzungen kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte aller Projekte nicht einspielen, was erwartet oder an Projektkosten produziert wird – von den Zusatzkosten in der Währung von Frustration und Arbeitsüberlastung ganz zu schweigen, denn gleichzeitig verbringen viele Fach- und Führungskräfte einen Großteil ihrer Zeit mit dieser nicht erfolgreichen Projektarbeit. Die Messung ist schwierig, denn Projektmisserfolg findet häufig nur unter der Oberfläche statt. Nach außen ist dagegen fast jedes Projekt ein Erfolg.
Das Dickicht der Gründe ist dabei vielfältig, weshalb der Management-Versuch aller Herausforderungen Projekte langsam, kompliziert und teuer macht und in mehrbändigen Projektmanagement-Bibeln resultiert – bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Agilität: Neue Produkte sollen zügig Marktreife erlangen, und Probleme wollen im eigenen Haus schneller gelöst sein als bei der Konkurrenz.
Es menschelt, es fehlen Tools, Besprechungen sind ineffizient und Interessenlagen politisch, und nicht wenige dieser Kausalfaktoren können zwar reflektiert und gemanagt, nicht jedoch aufgelöst werden. Es lohnt sich also, auf die zentralen und insbesondere beeinflussbaren Hebel am Anfang der Kausalkette zu fokussieren, die Kern des Projekterfolgs, aber auch Kern allen Übels sind und auf die erfahrungsgemäß deutlich zu wenig Energie verwandt wird.
Einer dieser Hebel ist eine wirksame Ziel- und Ergebnisfokussierung. Und die Auflösung des Missverständnisses, dass das Ziel das Gleiche wie die Lösung ist.
Der Fehler zeigt sich oft schon im Projekttitel: Vielleicht heißt auch Ihr Projekt „Einführung eines XY-Systems“. Nicht selten werde ich in ein solches Projekt berufen, wenn es bereits seit zwei Jahren läuft und überraschenderweise immer noch kein erfolgreicher Change herbeigeführt ist. Meine erste Frage ist immer: „Was ist das Ziel? Warum gibt es dieses Projekt?“, und die Standardantwort lautet immer – überrascht, dass ich frage: „Ist doch klar: Das Ziel ist die Einführung eines XY-Systems.“
Mit Abstand betrachtet, ist natürlich „die Einführung von …“ kein Ziel und funktioniert daher auch nicht zur Ausrichtung unternehmerischen Handelns. Und genau das ist das Problem: Bestenfalls handelt es sich hierbei um eine Strategie, eine Lösung, den Ansatz, um zum Ziel zu kommen – kurz: das Mittel zum Zweck. Meine nächste Klärungsfrage lautet daher: „Und wofür wollen Sie dieses System einführen? Welchen unternehmerischen Mehrwert soll es bringen?“ Die Antwort ist in der Regel zuerst Schweigen und nach längerer Reaktionszeit divers. Und es kommt noch schlimmer: Nicht wenige am Projekt beteiligte Führungskräfte – und das ist langjähriger Erfahrungswert – kennen die Antwort wirklich nicht und haben bestenfalls Hypothesen dazu entwickelt. Nur hat diese Frage in den letzten drei Jahren niemand gestellt, weil alle damit beschäftigt waren, nach bestem Wissen und Gewissen und vor allem so schnell wie möglich das XY-System einzuführen. Und außerdem ist das Stellen dieser Frage nach zwei Jahren Laufzeit nicht opportun und findet deshalb nicht statt. Mit allen Konsequenzen:
Die eine Hälfte der Beteiligten ist „im Widerstand“
Weil sie das Ziel, den Nutzen, nicht erkennt und keine Zeit in etwas investieren will, das Mehrarbeit bedeutet und dessen Sinnhaftigkeit sich nicht erschließt. Wertfrei betrachtet, ist das allerdings kein Widerstand, sondern normales menschliches Verhalten, und Mitarbeiter, die Sinnhaftigkeiten hinterfragen, sollten prinzipiell eher befördert denn bestraft werden. Das einzige wirkliche Versäumnis besteht darin, den Nutzen nicht aktiv selbst eingefordert zu haben.
Die andere Hälfte verschwendet (unwissentlich) Energie und Zeit
Die motivierten Umsetzer entwickeln in den verschiedenen Projektphasen unterschiedliche Hypothesen, was das eigentliche Ziel ist, und folgen daher diversen Lösungsrichtungen. Die „Landkarte ist nicht das Gebiet“: Sind die kognitiven Landkarten zum erwarteten Ergebnisnutzen unterschiedlich, resultiert dies auch in unterschiedlichen Strategien zur Zielerreichung. Das bedeutet in der Praxis, dass jeder gerade im hektischen Tagesgeschäft aus einer eigenen Logik heraus Lösungen und Aktivität entwickelt – nach bestem Wissen und Gewissen, aber nicht aufeinander abgestimmt und nicht gebündelt in eine Richtung. So werden Redundanz, Konflikte und unnötige Schleifen erzeugt und das Ziel langfristig weder effektiv noch effizient erreicht.
Wenn du es eilig hast, gehe langsam
Die Erkenntnisse aus dieser Beschreibung lassen sich unmittelbar auf erfolgreiches Projekt- und damit auch Change-Management übertragen. Nichts geht über eine gute Auftragsklärung: Die wesentlichen Stakeholder brauchen Klarheit und Einigkeit über die folgenden drei Kernelemente; Sorgfalt und Zeiteinsatz bei ihrer Erarbeitung sparen nach hinten heraus Zeit und Nerven:
- Das Ziel – der erwartete Mehrwert
Kaufen wir das Ziel nicht, gehen wir gar nicht erst los. Ein gutes Zielbild ist die Beschreibung eines sinnhaften Mehrwerts, erzeugt Energie, rechtfertigt Mehraufwand, fokussiert Aktivität und ermöglicht ein eigenverantwortliches, dezentrales Projektmanagement. - Die Ausgangslage/der Ist-Zustand
Die erste Hürde ist genommen: Das Ziel ist geteilt und positiv besetzt. Die nächste Herausforderung besteht in einer geteilten Sicht auf den heutigen Abstand vom Ziel: Wie groß ist der Gap? Hier ist die Spannbreite groß: Einige glauben, „wir machen das doch heute alles bereits“, andere sehen eine Riesenlücke zwischen Ist und Soll. Auch hier ist die Erarbeitung eines faktenbasierten geteilten Bildes der aktuellen Situation erforderlich. - Die Strategie – der Weg zum Ziel
Jetzt kann der erfolgreiche Change noch an der Strategie scheitern: Die Beteiligten kaufen Ziel und Ist-Zustand, glauben aber nicht an die gewählte Lösung. Auch hier wird keine Change-Energie erzeugt.
Fazit: B-A- statt A-B-Denke schafft echte Wirksamkeit
Statt ausgehend von einem Ist-Zustand Maßnahme A zu ergreifen in der Hoffnung, eine Verbesserung B zu erreichen, ist es notwendig, zunächst das Ziel B gemeinsam zu definieren und dann von dort ausgehend zu überlegen, welche Maßnahmen A minimal notwendig sind, um es auf dem einfachsten und schnellstmöglichen Weg zu erreichen. Achtung: B ist dabei die Beschreibung von Mehrwert und Nutzen und nicht das Abhaken der erledigten Aufgaben! Im Projektverlauf dient Ziel B dann als Leitstern, der auch in einem volatilen Umfeld und mit agilen Methoden immer wieder zur Justierung der gemeinsamen Anstrengungen genutzt wird und langfristig Projekterfolg sichert.