Bereits im Beitrag „Versuchen Sie doch mal die ELBE-Formel“ haben wir über drei Arten des Bedarfs gesprochen: den existierenden, den antizipierten und den kreierten, also selbst erzeugten Bedarf. Ein funktionierendes Produktportfolio in der Beratung konzentriert sich nicht auf lediglich eine dieser Bedarfsmöglichkeiten. Jede Form der Bedarfsdeckung hat ihre ganz spezifischen Vor- und Nachteile, und auch hier gilt wieder einmal: Der Mix macht’s.

Kurz gesagt ist ein existierender Bedarf etwas, das die Kunden jetzt schon beschäftigt, herausfordert, verlockt oder gar quält. Es geht um ein akutes Thema, das jetzt von Bedeutung ist. Der Need ist da, und wir können ihn befriedigen. Wenn wir Erfolg haben wollen, sind in unserem Portfolio Produkte, die einen existierenden Bedarf bedienen, absolut unverzichtbar. Sie führen schnell zu Aufträgen, weil der Economic Buyer den Wunsch hat, dass sein Problem sofort gelöst wird. Aus diesem Grund sind sie die effizienteste Möglichkeit, Neukunden zu gewinnen. Als regelmäßige Allerweltsprodukte werden sie jedoch schnell langweilig und stellen für uns kein Alleinstellungsmerkmal dar.

Produkte, die einen antizipierten Bedarf bedienen, zielen auf ein Thema von morgen, und es braucht meist einige Wochen, manchmal sogar drei bis vier Monate, bis es zu einem Auftrag kommt. Die Mittel dafür sind beim Kunden meist nicht eingeplant. Das Thema hat er zwar schon auf dem Schirm, aber es ist noch unbestimmt, wie viele Ressourcen investiert werden sollen. Beim antizipierten Bedarf ist die Konkurrenz überschaubarer und die Qualitätsspanne der Anbieter groß. Es kostet Zeit, Mühe und leider auch Geld, die eigene Expertise im Konzert der Konkurrenten unter Beweis zu stellen.

Angebote, die einen Bedarf erst kreieren, sind spannende, oft einzigartige Projekte und Produkte von übermorgen. Sie befördern nicht nur den Berater, sondern auch seine Kunden an die Spitze eines Marktes, der im Dornröschenschlaf liegt. Hat ein solches Angebot erst einmal eingeschlagen, wird aus dem USP oft ein Markenzeichen. Leider braucht es in der Regel sechs Monate oder mehr, um von der Idee übers Marketing zum überaus attraktiven Umsatz zu kommen. Neukunden gewinnt man damit nur selten, denn wer sich auf einen derartigen Zukunftstrip einlässt, muss bereits Vertrauen in den Reiseführer haben.

Der Zusammenhang von Bedarfsform und Sales Cycle

Viele Ihrer und damit auch meiner Kollegen, die ihr Angebotsportfolio auf den antizipierten Bedarf ausrichten, beklagen neben dürftigen Abschlussquoten einen Sales Cycle, bei dem es zu lange bis zu einem Abschluss dauert. Wenn wir uns als Berater zu gern mit Dingen beschäftigen, die gerade hip sind oder erst morgen relevant werden, nehmen wir diese schon als gesetzt an, obwohl wir kaum wissen, ob aus dem antizipierten irgendwann ein existierender Bedarf wird oder ob das Thema schlichtweg verpufft. Denken Sie etwa an Innovationsberatung, fluide Organisation, Gender Balance und andere Hypes, die viele schon kennen, aber nicht als akutes Problem wahrnehmen.

Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen der Bedarfsform und dem Sales Cycle. Die Abschlussgeschwindigkeit sinkt exponentiell, je weniger existierend und damit weniger „schmerzhaft“ ein Thema ist.

Der Mix macht’s – und so wird er gemacht

Bewerten wir das alles korrekt, umfasst der ideale Angebotsmix sowohl Produkte des existierenden als auch des antizipierten Bedarfs. Beratungsleistungen, die den kreierten Bedarf bedienen, entwickeln wir anschließend gemeinsam mit dem Economic Buyer. Wer bislang ausschließlich Pfeile im Köcher hat, die auf den antizipierten Bedarf abzielen, kann sein Portfolio leicht in Richtung des existierenden Bedarfs optimieren.

Stellen wir uns dazu eine Beraterin vor, die eine eindeutige Value Proposition und einen klaren Zielmarkt definiert hat:

„Meine Value Proposition ist es, durch Gender Balance Produktivitätssteigerungen in Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche herbeizuführen.“

Schon das Nutzenversprechen ist ausschließlich auf einen antizipierten Bedarf ausgerichtet. Entsprechend hat die Beraterin Probleme, mit ihrer Offerte bei potenziellen Neukunden Anklang zu finden. Gender Balance ist für das Gros der Economic Buyer kein Kittelbrennfaktor, dem sie sich eher heute als morgen widmen wollen.

Deshalb hat sie sich zuletzt damit beschäftigt, welche Schwierigkeiten die Entscheider im Umfeld von Finanzdienstleistern derzeit haben. Weil sie dabei festgestellt hat, dass bei vielen der Umsatz wegen der Führungs- und Boni-Systeme ins Stocken gerät oder sogar rückläufig ist, kann sie dieses Problem nun ins Zentrum ihres Angebots stellen:

„Mit veränderten Führungsstrukturen und Mechanismen befähige ich Vertriebe in Finanzdienstleistungsunternehmen dazu, ihre Abschluss- und Umsatzquoten überproportional zu steigern.“

Der ideale Produktmix

Bildquelle: AdobeStock natali_mis

Damit stellt sie nicht den Gender-Balance-Check-up oder ein Gender-Balance-Change-Projekt in den Vordergrund. Stattdessen platziert sie diese nur noch als Subthemen, die sie „antizipiert“ angeht. Sie hegt eine große Leidenschaft für dieses Thema und weiß, dass sie bei ihren Kunden einen großen Nutzen damit generieren wird, sobald sie einen gewissen Track Record vorzuweisen hat.

Nicht nur in der Krise unverzichtbar

Wenn uns der Lockdown eines gezeigt hat, dann, wie wichtig der passende Mix ist. Wir brauchen Themen, mit denen wir Instant-Unterstützung bieten können, wenn unsere Kunden diese benötigen. Dafür muss aber nicht unbedingt eine Krise her, weil es solche Bedarfe immer gibt. Kunden und Interessenten hingegen, die einige Luft für antizyklisches Handeln oder strategische Veränderungen haben, können wir mit Zukunftsthemen bedienen und mit ein bisschen Glück sogar die Phase der Antizipation überspringen, indem wir unvermittelt fragen:

„Wie wäre es denn, wenn wir jetzt, wo alle ums Überleben kämpfen, etwas Bahnbrechendes versuchen, um Sie an die Spitze zu bringen – etwas, das noch niemand vor Ihnen getan hat?“

Ihr
Matthias Kolbusa

Written by : Matthias Kolbusa

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